Ich habe mich gefragt, ob der Artikel gerade eigentlich in die Zeit passt – denn es geht um Verabredungen und „Freizeitstress“ – davon sollten wir alle ja gerade eher weniger haben. Aber ich dachte ich mir, ich mach das trotzdem. Denn irgendwann wird sich die Lage ja (hoffentlich) nochmal ändern. Also – los gehts!

Vielleicht kennt ihr das auch: Ihr habt eine private Verabredung oder eine (digitale) Veranstaltung zugesagt und je näher der Moment kommt, desto eher merkt ihr: Eigentlich will ich nicht. Vielleicht habt ihr auch jemandem einen Gefallen versprochen (beim Umzug helfen, bei der Bewerbung unterstützen) und merkt: Eigentlich habe ich dafür gerade keine Kapazitäten.

Was passiert dann? Ihr geht entweder zähneknirschend hin oder überlegt euch eine Ausrede, warum ihr doch nicht könnt. Vielleicht schiebt ihr auch direkt bei der Einladung schon eine Ausrede vor – einen anderen Termin oder eine sonstige Abwesenheit, die eure Teilnahme leider unmöglich macht.  In Gruppenchats ist natürlich auch das „nicht reagieren“ eine gute Alternative. Ich stell mich einfach tot, statt zu sagen, dass ich eigentlich nicht möchte. Im schlimmsten Fall sagt ihr jemandem ab, der sich auf eure Hilfe bei einer Sache verlassen hat oder ihr helft der Person, aber nur sehr halbherzig.

Ich hatte darüber schon vor längerer Zeit mal ein Gespräch mit einer guten Freundin und wir kamen wir dann genau darauf: Dass wir einander manchmal absagen, weil wir „krank“ sind, obwohl wir wissen, dass die andere Person vermutlich eh davon ausgeht, dass wir eigentlich nur gerade ein bisschen Alone-Time brauchen. Wir haben also beschlossen, uns komplett ehrlich zu sagen, wenn wir (auch kurzfristig) lieber Zeit für uns haben möchten. Weil das überhaupt nicht schlimm ist. 

Ich habe den Eindruck, viele denken immer noch, dass sie immer zusagen müssten – einfach nur, weil sie nichts anderes vorhaben. Als sei nur eine andere Beschäftigung oder eine Krankheit rechtmäßiger Grund, etwas abzusagen.

Natürlich fällt es nicht in jeder Situation leicht, eine Verabredung ehrlich abzusagen und es gibt sicherlich auch Dinge, die du nicht (und erst recht nicht kurz vorher) ohne „harten“ Grund absagen solltest. Wenn du jemandem bei etwas helfen wolltest und sich die andere Person auf dich verlässt. Manchmal möchten wir auch einfach deshalb nicht absagen, um einen guten Freund/eine Freundin oder ein Familienmitglied nicht zu verletzen und wüssten, das würde passieren – egal wie ehrlich und vorsichtig wir unsere Absage formulieren.

Aber wenn wir mal ganz ehrlich sind, sind der Großteil der Veranstaltungen und Verabredungen nicht lebensnotwendig oder unsere Teilnahme existenziell erforderlich. Und bei vielen Dingen können hin und wieder auch mal andere helfen. Und doch beobachte ich immer wieder, wie Menschen von einer familiären Verpflichtung zur nächsten hechten, von einem „Event“ zum anderen und Dinge sagen wie „Ich hab eigentlich gar keine Lust, aber man kann da ja auch nicht einfach absagen.“

Da wundert es mich auch nicht, dass viele die Kontaktbeschränkungen mit Erleichterung annehmen konnten, weil dadurch einfach endlich mal weniger los ist und es weniger „sozialen Verpflichtungen“ gerecht zu werden gilt. Trotzdem gibt es auch in diesen Zeiten genug Menschen, die immer noch sehr viel verabredet sind – nur eben häufiger online.

DABEI GIBT ES VIELE GUTE GRÜNDE, BEI EINER ABSAGE EINFACH MAL KOMPLETT EHRLICH ZU SEIN

1. Du bist ehrlich zu dir selbst und zu anderen

Oder ganz simpel: Du lügst niemanden an und das sollte eigentlich schon ein sehr guter Grund sein.

2. Du zeigst anderen Menschen deine Grenzen auf und trittst für dich selbst ein.

Auch wenn es viele Menschen gibt, die immer noch etwas anderes denken: Es ist total legitim zu sagen „Ich habe zwar Zeit an dem Wochenende, aber es ist gerade sehr stressig im Job und ich bin noch mit anderen Dingen beschäftigt – ich brauche einfach mal ganz dringend Zeit für mich und kann nicht kommen.“ Oder auch: „Ich hatte in letzter Zeit sehr wenig Zeit für meinen Partner/meine Familie/irgendwas anderes und glaube, ich brauche das Wochenende einfach mal dafür.“

Mache dir bewusst: Du sagst ja nicht jedes Mal ab – sondern nur ab und zu und das sollte auch ok sein. Genauso wie es ok sein sollte, sich in bestimmten Phasen des Lebens vielleicht auch mal eine längere Auszeit von sozialen Aktivitäten zu nehmen und sich auf z. B. ein Projekt, die Beziehung oder einfach mal auf dich selbst zu konzentrieren.

3. Du wirst dir klar über dich selbst und zwar dadurch, dass du dir bewusst machst, dass du etwas nicht möchtest und dafür eine Formulierung suchen musst, die deine Gefühle beschreibt.

Mit der Zeit wirst du vielleicht merken, was sich häuft und dann überlegen, wie du damit grundsätzlich umgehst. Es kann zum Beispiel sein, dass du merkst, dass du Verabredungen unter der Woche besonders anstrengend findest – das kannst du selbst steuern. Vielleicht weißt du aber auch, dass du immer, wenn du ein Projekt abgeschlossen hast, eine Weile Zeit für dich brauchst – dann sage Verabredungen in dem Zeitraum einfach ab bzw. schlage einen anderen Zeitpunkt vor. 

4. Du bist ein Vorbild für andere und inspirierst sie vielleicht dazu, auch selbst zu hinterfragen, was ihnen gut tut und was nicht.

Oft trauen sich Menschen aus Angst vor Ablehnung nicht, einfach mal eine Verabredung abzusagen. Oder weil sie den Satz „DAS MACHT MAN DOCH NICHT“ im Kopf haben. Keine Ahnung, wenn der dieser „MAN“ ist und warum der soviel nicht macht – aber vielleicht merken andere, dass ja gar nichts schlimmes passiert, wenn da mal einer ist, der eine Verabredung absagt, weil er/sie Zeit für sich braucht. Vielleicht merken sie sogar, dass sie das selber gut verstehen und merken, dass es andere dann ja vielleicht auch verstehen, wenn sie es selber mal so machen.

5. Du lernst, welche Menschen in deinem Umfeld deine Grenzen akzeptieren und welche nicht.

Auch das ist eine wertvolle Erkenntnis. Sicherlich werden Menschen manchmal enttäuscht sein und das zum Ausdruck bringen – und das ist auch ok und auch ein Zeichen dafür, dass sie dich gerne gesehen oder irgendwo dabei gehabt hätten. Wenn dir Menschen aber jedes Mal nachtragen, wenn du etwas absagst, dir Vorwürfe machen und vielleicht sogar schlecht über dich reden deshalb – dann ist es vielleicht auch einfach mal Zeit zu hinterfragen, ob du dich vielleicht von diesen Menschen etwas mehr abgrenzen möchtest.

Ich habe schon oft den Satz gehört „Wenn ich da jetzt absage, dann ist xy wieder wochenlang beleidigt“.  Meine Einstellung dazu: Wenn eine Person wiederholt meine Grenzen nicht akzeptiert, dann hat diese Person es nicht verdient, in meinem Leben eine große Rolle zu spielen. Wer mich emotional erpressen möchte und mir ein schlechtes Gewissen macht, weil ich auf mich selber höre, den sortiere ich ganz hart aus.

Trotzdem fühlt es sich nicht gut an, andere zu enttäuschen. Ist das nicht auch total egoistisch?

Diese Frage lässt sich meiner Meinung nach ganz klar mit nein beantworten. Aus folgenden Gründen:

  1. Du sagst nicht jedes Mal ab und vermutlich auch nicht immer den gleichen Leuten. Vielleicht fühlt es sich für dich dramatischer an, als es ist. Sich abzugrenzen ist gut und auch wichtig. Übrigens auch dann, wenn es einen längeren Zeitraum betrifft.
  2. Solange du offen damit und mit deinen Gründen dafür umgehst, kann dir niemand etwas vorwerfen. Du bist ehrlich zu dir selbst und zu anderen. Wer dir deshalb Vorwürfe macht, ist eher selbst egoistisch. 
  3. Wenn du immer über deine Grenzen gehst, obwohl du dich anders fühlst, dann hast du irgendwann gar keine Kapazitäten mehr, wirst krank oder brauchst eine wesentliche längere Auszeit. Weder du noch irgendwer sonst hat etwas davon.

Vielleicht hilft dir das dabei, bei der nächsten Gelegenheit genauer zu hinterfragen, ob du eigentlich gerade genug Energie hast für eine Verabredung oder eine „private Verpflichtung“. Ein ehrliches Nein ist meistens besser als ein unehrliches Ja.

Wann hast du das letzte Mal eine Verabredung abgesagt, um Zeit für dich oder etwas für dich in dem Moment Wichtigeres zu haben und wie hat sich das angefühlt?