Gestern früh habe ich mir wie jeden Morgen meinen Haferbrei gekocht. (Ich weigere mich übrigens, das Zeug, „Oatmeal“ zu nennen, weil ich schon seit 1994 regelmäßig Haferbrei zum Frühstück esse und obwohl das n bisschen ekelig klingt, finde ich den Begriff einfach besser. Egal.) Wie ich da so am Herd stehe, mit unordentlichen Haaren, meiner Sternchen-Schlafhose, meinem verwaschenen Shirt und einer überdimensionalen schwarzen Strickjacke – da überkommt mich plötzlich das Bedürfnis, noch ein bisschen Schokoeis in mein Frühstück zu rühren. Und während ich das so mache – nicht zum ersten Mal übrigens – und dem Eis beim Schmelzen zusehe, kommt mir plötzlich ein Gedanke …
Wäre mein Leben irgendein schlechter Film – irgendeine romantische Komödie – dann wäre das in meiner Küche vermutlich die Startszene.
Frau Mitte 30, nicht verheiratet, keine Kinder, kein Wohn-Eigentum, kein geregelter Job, rührt sich Schokoeis in ihre Haferflocken und sieht dabei aus, als hätte sie seit vier Tagen nicht geduscht. Mein Leben wäre die „Ausgangsposition“ für „irgendetwas Besseres, was da im Auge des Betrachters auf jeden Fall noch kommen muss“. Die Zuschauer würden Dinge denken wie „Was für ein Albtraum wäre es, morgen in diesem Leben aufzuwachen.“ Und ganz sicher Sätze sagen, die die Begriffe „verfrühte Midlifecrisis“ oder „Selbstfindungstrip“ oder so beinhalten.
Sätze, die die Hoffnung und Erwartung widerspiegeln, ich möge doch im Laufe des Films einen soliden Mann kennenlernen, der mir ein solides Kind macht und mit mir ein solides Eigenheim baut, für das uns ein windiger Bankberater dann einen Kredit für die nächsten 30 Jahre ans Bein bindet, damit wir auf jeden Fall auch für immer aneinander gekettet sind. Neee, wat schön.
Und ich fragte mich: Warum werden Frauen (und Männer), die so leben wie ich, eigentlich in Filmen und Serien meistens am „Rock Bottom“ ihrer Existenz dargestellt?
Warum gibt es so viele Filme mit dem Plot „überzeugter Single mit guter Karriere und wechselnden Partner*innen, trifft „Mensch fürs Leben“, was dann auf jeden Fall darin mündet, sich ein Reihenhaus zu kaufen, plötzlich Kinder ganz toll zu finden, den Wunsch der Reproduktion zu verspüren und am Wochenende lieber stundenlang den Rasen zu mähen, als bei Freunden besoffen in die Rabatten zu kotzen?
Ich meine: Ist es so undenkbar, dass diese Menschen, die morgens Schkoeis in ihr Frühstück rühren und nichts mit den gängigen „Reihenhaus-Lebensmodellen“ anfangen können, vielleicht einfach glücklich sind? Dass sie vielleicht gar nicht am Anfang davon stehen, dass sich alles zum Besseren wendet, sondern absolut zufrieden und für sich auf dem richtigen Weg sind?
Ist die Vorstellung, diese Person könnte glücklich sein, für die Allgemeinheit so schwer zu ertragen? So schwer, dass es ein „Erwachen“ solcher Figuren benötigt? Eine Bekehrung der Hauptfigur zum schnöden Konformismus, mit dem schon alle anderen ihr Leben führen?
Versteht mich nicht falsch: Viele Menschen wollen das und ich verstehe das auch. Eine Familie, ein Haus, Berechenbarkeit auf die nächsten Jahrzehnte. Weil ihnen das ein Gefühl von Sicherheit gibt. Weil sie das schön und erstrebenswert finden und das ist auch total ok. Ich selbst kann nur leider nicht anders als dieses Leben für mich als den blanken Horror zu empfinden. Und das heißt nicht, dass ich eine stabile Beziehung nicht auch total erstrebenswert finde.
Das tue ich durchaus. Vielleicht aber auch nicht ganz nach dem klassischen Modell. Auf keinen Fall mit Kindern und Eigenheim und Ratenkredit für mehrere Jahrzehnte. Und auch definitiv nicht um jeden Preis. Das scheint aber für viele dann doch weniger nachvollziehbar zu sein. Dass es Menschen gibt, die einfach anders leben wollen. Die vielleicht nicht mal eine Beziehung möchten und stattdessen in ihren Freunden eine Familie finden.
Wie schön wäre es, wenn es einfach mehr anerkannt würde, dass es Menschen gibt, für die andere Dinge erstrebenswert sind und dass auch mit diesen Menschen übrigens alles komplett in Ordnung ist?
Deshalb schlage ich für meinen persönlichen Lebensfilm einen kleinen Plot-Twist vor …
Ihr seht mich, wie ich nach dem Frühstück an meinem Rechner sitze und das hier schreibe. Wie ich mir ein schönes Leben aufbaue, kreativ bin. Wie ich Menschen treffe, die mich bereichern und mein Leben verschönern. Wie ich mit diesen Menschen über Politik, die Gesellschaft und Werte diskutiere. Wie ich mich engagiere. Glücklich bin. Wie ich immer mehr verstehe, wer ich bin und für das arbeite, an was ich glaube. Wie ich mir eine Existenz aufbaue. Sonntags mit einer großen Tasse Kaffee im Bett liege und die Ruhe genieße. Wie ich nicht ein einziges Mal den Rasen mähe, eine Windel wechsle oder Sätze sage wie „Ich brauche unbedingt noch ein Bild mit ganz vielen Kaffeebohnen drauf, das ich in meine Küche hängen kann.“ Ihr seht 120 Minuten Erfüllung jenseits familiärer Idylle.
Am Ende des Films stehe ich im Garten eines Reihenhauses bei Freunden. Mit einem großen Bier in der Hand. Zwischen den lärmenden Kindern meiner Freunde. Neben mir sitzt mein Hund und ich schaue ihn an und sage „Shit, Hasso – so hätte das hier auch ausgehen können. Wie gut, dass ich mich anders entschieden habe. Es wäre wirklich ein Albtraum, morgen in so einem Leben aufzuwachen.“ Und Hasso würde mich ansehen und ich wüsste, dass er verstanden hätte, worauf ich hinaus will:
Jede*r wählt für sich selbst, was Traum oder Albtraum ist und hat das im Leben der anderen überhaupt nicht zu beurteilen.
Und ich persönlich liebe es, wenn morgens das Schokoeis in meinem Frühstück schmilzt. Ich liebe mein (kinder)freies Leben. Mein kreditfreies Leben. Den Weg auf dem ich gerade bin. Diese Ungewissheit. Die vielen Möglichkeiten. Die Herausforderungen, die noch kommen. Euren rock bottom dürft ihr gerne bei euch selbst suchen. Ich bin raus.