Heute gehts um das Thema „permanentes beschäftigt sein“ als Tugend. Ich habe vor einiger Zeit schon mal darüber geschrieben, wie schwer es uns manchmal fällt, einfach zu sagen „Ich habe Zeit, aber ich möchte einfach nicht.“ Ich glaube aber, dass das Thema noch weiter reicht und nicht nur Termine und Zeit mit anderen Menschen betrifft, sondern auch die Zeit, die wir „mit uns selbst“ verbringen – in der Freizeit, im Job oder eben auch mit anderen. 

Mir scheint es manchmal so, als sei es eine Art „Tugend“ dauernd mit irgendwas „beschäftigt“ zu sein und zwar auch möglichst bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Sowohl privat als auch beruflich. Vielleicht kennst du eine Szene wie diese so oder so ähnlich aus deinem eigenen Erleben: 

Irgendeine beliebige Zusammenkunft von Menschen. Sabine betont, wie viele Überstunden sie diese Woche schon wieder gemacht hat und beendet das Ganze mit den Worten „Aber was soll ich machen? Die neue Kollegin kriegt es eben nicht alleine hin.“ Woraufhin Peter einwirft: „Pah, 10 Überstunden die Woche; das geht ja noch. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zuletzt ein Wochenende nicht gearbeitet habe.“ Das provoziert dann wiederum die anderen Anwesenden in der Runde, auch nochmal zu betonen, wie beschäftigt sie alle sind und wie wenig Zeit sie doch haben. Da müssen Kindergeburtstage organisiert, Essen gekocht und Urlaube geplant werden und überhaupt – „bis Ostern nächstes Jahr sind wir eigentlich jedes Wochenende verplant. Freizeitstress, ihr kennt das ja.“

Diese und ähnliche Szenarien (bei denen ich übrigens oft genug selbst eine betont gestresste Teilnehmerin war) werfen in mir zunehmend die Frage auf:

Wann genau haben wir eigentlich angefangen, uns gegenseitig dafür zu feiern, dass wir uns ständig gegenseitig bis an die Belastungsgrenze verausgaben?

Warum besteht mittlerweile bei vielen das Bedürfnis, nochmal einen draufsetzen zu müssen, wenn jemand sagt, wie stressig es gerade ist? Wann ist eine 60-Stunden-Woche ein Grund zum Angeben geworden?

Und überhaupt: Warum sind wir also dauernd so beschäftigt mit allem Möglichen? Ich glaube, es gibt dafür zwei Gründe:

  1. Menschen denken, sie seien in den Augen anderer mehr wert, je mehr sie leisten und „wegwuppen“.
  2. Wer dauernd beschäftigt ist, der muss sich nicht damit auseinandersetzen, was er vielleicht sinnvollerweise stattdessen tun sollte.

Wenn du nicht permanent das Grundrauschen der Geschäftigkeit um dich herum erzeugst, wirst du schnell als „faul“ oder „langweilig“ abgestempelt. Offenbar ist die gängige gesellschaftliche Meinung, dass jeder, der nicht dauernd überarbeitet oder zumindest maximal „busy“ ist, irgendwas falsch macht und auch eine geringere Daseinsberechtigung hat.

Ich stelle dazu die folgende Gegenthese auf: Gerade die, die eben NICHT dauern beschäftigt sind, machen alles richtig.

Wir sollten aufhören, freie Zeit und Nichtstun als Luxus zu deklarieren

In meinen Augen sollte genau das eine Selbstverständlichkeit sein und nicht etwa ein hohes Gut, das wir uns zu besonderen Anlässen leisten. Ich halte es für notwendig, sich jeden Tag und jede Woche kleine und große Auszeiten zu nehmen – und auch dafür zu kämpfen.

Denn Auszeiten liefern Energie und wertvolle Erkenntnisse, die uns wesentlich weiter bringen, als wenn wir ständig versuchen, alle Dinge erledigt zu bekommen, die auf uns einprasseln. Nichts tun, Zeit zu haben und sich Zeit zu nehmen sollten normaler Bestandteil jeden Alltags sein. Wir sollten uns die Menschen zum Vorbild nehmen, die nicht Wochen im Voraus verplant sind und die ganz bewusst sagen „Ich verbringe viel Zeit damit, nur die Dinge zu tun, die mir gerade gut tun!“

Ich glaube, wer das schafft, erreicht am Ende wesentlich mehr als die Menschen, die nur für wenige Stunden im Monat oder zum jährlichen Malle-All-Inclusive-Urlaub mal aus ihrem Hamsterrad ausbrechen.

Und noch viel wichtiger: 

Es gibt einen Unterschied zwischen „beschäftigt“ und „produktiv“


„Beschäftigt“ sind wir oft mit den kleinen Alltagsdingen oder den Reaktionen auf irgendwas, was „Außen“ passiert. Wie reagieren, statt zu agieren. Wir wuseln für Stunden unreflektiert rum, statt uns zu fragen, ob das, was wir da tun, eigentlich irgendwo hin führt.

Oft gäbe es in diesen Momenten nämlich eigentlich eine andere Sache, die wir tun sollten und unterbewusst wissen wir das auch. Aber dann kommt die Angst, dass diese „andere Sache“ vielleicht unangenehmer oder anstrengender sein könnte. Dass wir scheitern könnten. Oder grundsätzliche Aspekte unseren Leben sich ändern. Und da ist es natürlich netter, lieber einfach sehr beschäftigt zu sein. 

Robert T. Kiyosaki stellt in seinem Buch „Rich Dad, Poor Dad“ z. B. sinngemäß die These auf, dass dauerndes beschäftig sein im Grund die schlimmste Form der Faulheit ist – weil wir dadurch nicht zu den Themen kommen, die eigentlich für unser Leben relevant wären. Die Folge: In 20 Jahren stehen wir da und merken, dass unser Leben gar nicht so ist, wie wir es haben wollten. Weil wir immer zu beschäftigt waren, um dafür zu sorgen, dass es so wird. 

Wie äußert sich das im Alltag – vielleicht auch in deinem? Ein paar Beispiele, die dir vielleicht so oder so ähnlich bekannt vorkommen:

  • Du beantwortest im Job eine halbe Stunde lang eine Mail, auf die du auch in 3 Tagen antworten könntest, statt z. B. an dem Projekt zu arbeiten, das dir eine Beförderung einbringen könnte. Zum Feierabend beschwerst du dich dann bei denen Kolleg*innen, dass du „schon wieder fast nichts geschafft hast, weil dauernd jemand irgendwas von dir will.“
  • Du putzt nach Feierabend die Küche und entfernen die Krümel aus der Besteckschublade, statt das schwierige Gespräch mit dem Partner/der Partnerin zu führen, das schon so lange aussteht. Einem Freund erzählst, dass du einfach „vor lauter Stress“ keine Ruhe für das Gespräch findest. 
  • Du verbringst ein komplettes Wochenende damit, uns aus Pflichtgefühl mit Menschen zu treffen, die du sterbenslangweilig findest und mit denen du nur übers Wetter redest, statt dir einmal ein Wochenende Zeit nur für dich alleine zu nehmen und zu überlegen, ob du in deinem Leben eigentlich glücklich bist. Als eine Freundin dir erzählt, dass sie neulich ein Visionboard gebastelt hat, sagst du: „Für so einen esoterischen Kram fehlt mir die Zeit. Ich hab immer so viele Verpflichtungen!“
  • Du gehst mit der schlimmsten Migräne zur Arbeit, statt dich damit auseinanderzusetzen, ob das eigentlich die Art von Arbeitsmoral ist, mit der du deinen Körper bis zum Lebensende malträtieren willst. Darauf angesprochen sagst du nur „Ich kann es mir nicht leisten, nicht ins Büro zu gehen.“

Warum ist es so schwer, diese dauernde Geschäftigkeit loszulassen?

Wie du in den Beispielen oben siehst, haben diese alle eines Gemeinsam: Die Geschäftigkeit ist ein willkommener Grund, dich nicht mit den Dingen zu befassen, die vielleicht auf lange Sicht zielführender (und erfüllender) wären – aber dafür eben kurzfristig erst einmal unbequemer.

Meine These: Das ist auch der Grund,  warum täglich überall das oben beschriebene Spielchen von „wer hat den meisten Stress?“ gespielt wird. Es scheint eine gesellschaftliche Übereinkunft zu geben, dass wir alle dieses Spielchen schön mitspielen, damit wir uns alle immer wieder gegenseitig bestätigen, dass es eben einfach keinen Ausweg gibt. Und wer nicht mitspielt, der ist eben faul. Oder „leistet keinen Beitrag“. Oder „hat es einfach gut, sich diesen Luxus erlauben zu können.“ Auch da sind sich anscheinend alle einig. 

Was du konkret tun kannst

Wenn du dich ein jetzt ein wenig erwischt gefühlt hast – keine Sorge, das geht den meisten Menschen so. Auch mir geht es zumindest in einigen Bereichen immer mal wieder noch so, dass ich mich dabei erwische, eher „beschäftigt“ als „sinnvoll beschäftigt“ zu sein (die Selbstständigkeit bietet dafür sehr viele Gelegenheiten ;)).

Trotzdem ist es möglich, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Die Dinge, die mir am besten helfen, sind folgende – vielleicht ist was für dich dabei, das du übernehmen willst:

  • Frage dich häufiger am Tag „Bin ich gerade produktiv, oder bin ich nur beschäftigt?“ Stelle dir dafür zum Beispiel eine Erinnerung im Handy drei Mal am Tag.
  • Überlege einmal, für welche drei Dinge du angeblich seit Monaten zu beschäftigt bist und frage dich: Stimmt das eigentlich wirklich oder schiebe ich Gründe vor, um das nicht tun zu müssen? Wovor habe ich eventuell Angst und welche Konsequenzen befürchte ich, wenn ich das Thema angehe?
  • Habe immer im Kopf, dass es auch total ok ist, ab und zu einfach nur beschäftigt zu sein und damit etwas anderes zu vermeiden. Allein die Tatsache, dass dir BEWUSST ist, dass du dich gerade ablenkst oder etwas vorschiebst, ist schon sehr wertvoll. Mit der Zeit – und wenn du allmählich immer ehrlicher zu dir selbst bist – ergibt sich hieraus auch eine Änderung in deinem Verhalten.

Du wünscht dir noch mehr Unterstützung bei dem Thema und möchtest tiefer ergründen, warum du bestimmte Dinge nicht veränderst – dann schau dir gerne mein Coaching-Angebot an oder vereinbare direkt einen kostenlosen Kennenlern-Termin.

Was sind die Dinge, für die du gerade zu beschäftigt bist? Und welche davon möchtest du gern am dringendsten ändern?