Wer sich beruflich verändern will und ein bisschen im Netz dazu rumstöbert, der findet schnell einen Satz wie „Tue was du liebst und du musst nie wieder arbeiten“. Meistens richtig schon instagrammable mit blauem Himmel oder Meer im Hintergrund. Oder versehen mit einem Bild eines Menschen, der in seinen Laptop so verklärt anlächelt, als hätte dieser ihm gerade seine Liebe gestanden.

Viele Menschen finden solche Sprüche sehr hilfreich und inspirierend. Viele Coaches für berufliche Veränderung vertreten in ihren Coachings eine entsprechende Haltung und „werben“ mit genau solchen Sprüchen.

Wenn du ein Coaching mit dieser Haltung suchst, bist du bei mir übrigens falsch.

Ich persönliche sehe solche „Motivationsplakat-Sprüche“ kritisch. Damit du weißt, woran du in einem Coaching bei mir bist, nehm ich heute meine drei liebsten Weissagungen auseinander und sage dir, mit welcher Haltung ich diesen Aussagen gegenübertrete.

„Tue was du liebst und du musst nie wieder arbeiten“

Ah ja, der Klassiker. Klingt toll, oder?

Gerade, wenn es darum geht, Leute in eine Selbstständigkeit zu bringen, wird dieser Spruch oft rausgeholt. „Mach dich doch einfach selbstständig als Zeichner:in, Autor:in oder als Ernährungsberater:in – tue was du liiiiiebst!“

Meine Erfahrung ist: Auch wenn man seine Leidenschaft zum Beruf macht, gibt es Aspekte, die anstrengend oder lästig sein können. Es ist immer noch Arbeit – nur hoffentlich eine, die öfter Freude als Frust bereitet.

Ich selbst arbeite zum Beispiel sehr gern in meinem Job (oder meinen Jobs) – trotzdem gefallen mir mindestens 20% der Aufgaben überhaupt nicht. Steuerkram? Bäh! Meine Leistungen in Akquise-Gesprächen verkaufen? Mööööp. Contentplan für LinkedIn erstellen … Lass mich bloß in Ruhe!

Mal abgesehen davon: Es mag sein, dass du Yoga wirklich liebst. Und lebst. Aber es kann eben auch einfach sein, dass es nicht das 78ste Yogastudio in Berlin-Mitte braucht.

Ich frage lieber: Welche Tätigkeiten machen dir in deinem aktuellen Job (oder auch privat) Freude? Welche davon möchtest du WIRKLICH mehr in deinen Job integrieren und wie kann das aussehen? Und wenn dich das Thema gar nicht los lässt: Wie kannst du austesten, wie es wäre (finanziell und gefühlsmäßig), dein Hobby zu Beruf zu machen – ohne es gleich zu tun?

„If you can dream it, you can do it.“

Der Spruch ist im Original ist er von Walt Disney, was wohl so beliebt macht. Ich kann ihn nicht mehr hören.

Klar, Träume sind wichtig. Aber zwischen „davon träumen“ und „es tun“ liegen oft jahrelange harte Arbeit und viele, viele Rückschläge.

Und dann ist da auch noch die Sache mit den Voraussetzungen. Wer davon träumt, ein eigenes Eiscafé zu eröffnen, der hat bessere Chancen, wenn er/sie gerade eine dicke Erbschaft gemacht hat und nicht nur 1000 EUR Rücklagen besitzt. Oder aus einer Familie voller Gastronomen kommt, statt aus einer Familie voller Bürokaufleute. Oder das Eiscafé in Hamburg eröffnen möchte – und nicht in einem Dorf in der Lausitz.

Ganz ehrlich: Wer bei einigen diesen „If you dream it“-Menschen selbst mal n bissl genauer hinter die Fassade guckt, der wird nicht nur „Dreaming“ finden.

Ich tue das gerne und habe da schon so einiges gefunden: Die Coachin zum Beispiel, die 5 (!) Jahre lang nebenberuflich selbstständig war, bevor sie ihren gut bezahlten Konzernjob gekündigt hat. Erst, als sie sicher war, dass sie komplett von der Selbstständigkeit leben kann. Die jedoch heute allen erzählt, wie wichtig ein „mutiger Sprung“ in die Selbstständigkeit ist (mit ihrer Unterstützung natürlich, zinkerzwonker) und dass es dafür keinen „richtigen“ Zeitpunkt gibt.

Oder den Erfolgsautoren, der sich als Underdog inszeniert und darüber schreibt, wie er sich all das aus dem Nichts aufgebaut hat. Dessen Bruder aber eben auch zuuuuufällig ein ziemlich hohes Tier in der Medien- und Verlagsbranche ist.

Bei jedem Traum ist für mich daher die Frage: Was genau möchtest du AUSSER dieses Traums noch? Was bist du wirklich bereit, dafür aufzugeben? Welche Ressourcen hast du wirklich, um den Traum umzusetzen? Und welche Schritte kannst du gehen, um deinem Ziel näher zu kommen – ohne gleich dein komplettes Leben über den Haufen zu werfen?

Träume groß, aber hab auch deine Ressourcen realistisch im Blick.

„Folge einfach deinem Herzen!“

Ach ja, das Herz. Dieses romantische Organ, das uns angeblich immer den richtigen Weg weist. Nur blöd, dass es manchmal auch Lust auf den dritten Burger oder den Ex hat, der uns schon zweimal das Herz gebrochen hat.

In der Berufswelt ist blindes Vertrauen aufs Herz oft nicht der beste Ratgeber. Klar, Leidenschaft ist wichtig. Aber ebenso wichtig sind handfeste Fähigkeiten, Marktbedingungen und finanzielle Realitäten.

Wenn du dir mit Mitte 40 überlegst, dass du wirklich sehr sehr gerne Herzchirurgin wärst, aber kein Medizinstudium hast, dann ist die Frage (und ich weiß, dass ich mich wiederhole): Wie realistisch ist das wirklich? Und wie machbar?

Statt (in diesem Falle buchstäblich) nur dem Herzen zu folgen, ist es klüger, Herz und Verstand zu kombinieren: Analysiere deine Stärken, betrachte deine Situation und dein Umfeld und überlege dir, ob der Weg wirklich realistisch ist. Und ob es einen Kompromiss gibt, der viele Dinge beinhaltet, die dir an der Vorstellung Freude machen.

Fazit

Wenn du dich beruflich neu orientieren oder was Eigenes starten willst: Fall nicht auf solche plumpen Kalendersprüche rein.

Sei realistisch optimistisch. Arbeite hart an deinen Zielen, aber vergiss nicht, dass der Weg dorthin manchmal steinig sein kann. Und dass es manchmal auch sein kann, dass wir uns eingestehen müssen, dass bestimmte Wege eben nicht (mehr) möglich sind. Oder noch nicht.

Und vor allem: Behalte deinen Humor und vergiss nicht, zwischendurch immer mal wieder das Gehirn einzuschalten 😉