Wenn es um berufliche Neuorientierung geht, dann lese ich immer mal wieder Erfolgsgeschichten, die fast zu schön sind, um wahr zu sein.

Sicher kennst du solche Geschichten auch – sie kommen in verschiedenen Formen daher – haben aber alle eins gemeinsam: Einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Leben und die die komplett reibungslose Umsetzung des Ganzen:

  • Marie (36), die aus der Elternzeit heraus ein erfolgreiches Oköspielzeug-Business aufgebaut hat und nach nur einem Jahr schon 3 Angestellte hat
  • Thomas (42), Investment-Banker, der irgendwann den Stress nicht mehr aushielt und jetzt im Hinterhof alte Surfbretter zu freshen Wohnzimmermöbeln umbaut
  • Annelie (45), die nach jahrelanger Tätigkeit im Marketing endlich ihrer „Päääässion“ gefolgt ist und jetzt als Bibliothekarin in der städtischen Bücherei arbeitet

Ja, es gibt diese Erfolgsgeschichten. Dennoch warne ich im Coaching gerne davor, unvermittelt alles hinzuwerfen.

Ich gebe zu – ein Stück weit hab ich das selbst Ende 2020 auch gemacht, als ich meinen Konzernjob gekündigt habe. Ich hatte nur einen ungefähren Plan von dem, was ich inhaltlich machen wollte. Aber ich hatte eine Finanzplanung gemacht, ich hatte Plan B, C und D und vor allem hatte ich: Finanzielle Rücklagen.

Ohne all diese Dinge wäre ich sicher nicht durch das erste sehr turbulente Jahr der Selbstständigkeit gekommen.

Das Ding ist: Einen radikalen Bruch musst du dir leisten können

Je nach dem, was du vor hast – rund um das Thema Finanzplanung bei der beruflichen Neuorientierung darfst du folgendes beachten:

Im Falle einer Kündigung kannst du dich nicht drauf verlassen, sofort Arbeitslosengeld 1 (ALG 1) zu bekommen i.d.R. erhältst du eine Sperre von mehreren Monaten, wenn du selbst gekündigt hast – in dieser Zeit bist du zwar renten- und krankenversichert – alles andere zahlst du aber selbst.

Gerade wenn du gut verdient hast, bekommst du oft weniger als 2/3 deines vorherigen Nettogehalts als ALG 1 ausgezahlt – auch z. B. ein Gründungszuschuss orientiert sich in der Höhe an diesem ALG.

Wenn du Menschen in deinem Umfeld hast, die deine Neuorientierung für eine Zeit finanziell mittragen (Ehepartner/in, Eltern etc.) ist das natürlich toll – sei dir jedoch bewusst, dass du dich hier in eine finanzielle Abhängigkeit begibst, die ggf. länger andauert, als du dir das am Anfang vorstellst.

Eine Neuorientierung bedeutet oft auch, dass du dich weiterbilden musst/darfst – auch das kostet Geld und Zeit. Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass z. B. die Agentur für Arbeit diese Kosten trägt. Wenn du dich für einen neuen Beruf entscheidest, der noch einmal eine dreijährige „klassische“ Ausbildung erfordert, verdienst du in diesem Zeitraum zudem ggf. nur einen Bruchteil dessen, was du vorher bekommen hast.

Bis eine Selbstständigkeit wirklich gut läuft, vergehen u.U. mehrere Jahre. Das hängt natürlich stark davon ab, welches Netzwerk und welche Expertise du schon hast – gerade, wenn du dir aber erst Expert:innen-Status aufbauen musst, dauert es oft lange, bis du davon leben kannst.

Eine Selbstständigkeit – auch wenn es nur ein kleines Online-Business ist – verursacht monatliche Kosten, die mindestens im mittleren 3stelligen-Bereich liegen. Und zwar auch dann, wenn du noch gar nichts verdienst. Zudem hast du am Anfang ggf. auch einige Einmal-Kosten, die deutlich höher sind als das, was du z. B. an Gründungszuschuss erhältst (z. B. Laptop kaufen, Arbeitszimmer einrichten etc.).

Beruflicher Neustart – bitte immer mit (finanziellem) Plan!

Keine Angst, du brauchst keinen Abschluss in Finanzmathematik, um mit einem gewissen Plan an die Sache heranzugehen. Folgende Fragen geben einen Anhaltspunkt für deine Finanzplanung in der beruflichen Neuorientierung:

Wie viel Geld gebe ich im Monat aus?

Du solltest wissen, wie hoch deine Fixkosten sind und was du ansonsten an variablen Kosten hast – ansonsten kannst du logischerweise nichts weiteres planen. Im Zweifel hilft das klassische Haushaltsbuch bei der Analyse.

Wie hoch sind meine Ersparnisse? Wie viel davon möchte oder kann ich in den Neustart investieren?

Hier guckst du nur die Ersparnisse an, die du auch wirklich zur Verfügung hast (z. B. die Rücklagen auf deinem Tagesgeldkonto) – es ist keine gute Idee, z. B. Kohle aus einem ETF-Depot abzuzwacken, das eigentlich für die Altersvorsorge gedacht ist. Wirklich. Mach das nicht.

Wie viel Geld wird der Neustart in etwa kosten? Über welchen Zeitraum?

An dieser Stelle kommt es drauf an, was du genau vor hast. Daher sind die folgenden Fragen natürlich nur eine Orientierung bzw. ein Anstoß, dir weitere, eigene Gedanken zu machen:

Wenn du dich selbstständig machen möchtest, dann solltest du dich fragen: Wie hoch sind die Kosten für eine Gründung in etwa (du findest dafür auf der Gründerplattform sehr hilfreiche Informationen, z. B. auf dieser Seite hier? Welche sonstigen monatlichen Kosten kommen auf mich zu? Und: Wann werde ich realistisch das erste Geld verdienen? Und in welcher Höhe?

Geht es um eine Neuorientierung, dann geht es vor allem um die Kosten für Aus- und Weiterbildung. Was brauchst du genau? Eine kurze Weiterbildung oder eine komplette Ausbildung? Wie lange dauert diese? Mit welchen Kosten ist die Weiter/Ausbildung verbunden und über welchen Zeitraum? Welche finanziellen Einbußen habe ich dadurch und wie kann ich diese kompensieren (hab ich z. B. noch Zeit, nebenher zu jobben?)

Was ist mein Plan B?

Den solltest du immer haben. Was tust du, wenn die Selbstständigkeit nicht läuft und du dein Budget verbraucht hast? Was ist der Plan? Ab wann gehst du in die Umsetzung? Oder: Was ist, wenn dir die Ausbildung im neuen Job nicht gefällt? Was ist dein Fallback? Aufschreiben und abheften!

Wie viel finanzielle Abhängigkeit ist für mich ok und für wie lange?

Die Frage finde ich insbesondere dann wichtig, wenn z. B. dein:e Partner:in deine Neuorientierung mitträgt. Wie lange sollte dieser Zustand maximal anhalten? Wann ist Zeit für Plan B?

Und bitte bezieh deine:n Partner:in in die komplette Planung ein, damit er oder sie realistisch einschätzen kann, welche zusätzliche Belastung über welchen Zeitraum auf ihn oder sie zukommt. Wenn deine Berechnungen und die Erwartungen der anderen Person komplett auseinander klaffen, dann kann es unangenehm werden.

Es muss nicht immer der sofortige Cut sein

Vielleicht ist das auch das Ergebnis deiner Analyse: Dass es gerade noch nicht reicht, um komplett aus der kalten Hose einen Neustart zu wagen. Dennoch kannst du dich vorbereiten:

Schaue, ob du erforderliche Weiterbildungen vielleicht neben deinem aktuellen Beruf absolvieren kannst – eventuell kannst du dafür sogar Bildungsurlaub einreichen.

Wenn die Rücklagen nicht reichen, dann schaffe dir welche – lege monatlich einen Betrag x zur Seite, damit du gerüstet bist für den Aus- oder Umstieg.

Sprich mit Menschen, die einen ähnlichen Weg gegangen sind wie den, den du dir vorstellst und frag auch explizit nach Kosten und Co. – nicht alle werden bereitwillig Auskunft geben, aber fragen kostet ja nix. Auf der Basis und mit Tipps aus diesen Gesprächen kannst du auch für dich weiter planen.

Fazit

Auch wenn es Erfolgsgeschichten rund um den beruflichen Neustart gibt – lass dich davon nicht blenden. Ein durchdachter Finanzplan ist wichtig, bevor du ins kalte Wasser hüpfst.

In meinem Karriere-Coaching schauen wir uns übrigens – wenn du möchtest – auch genau diesen Finanzplan gemeinsam an – damit du nicht nur mit Freude neu durchstarten kannst – sondern dir auch nach wie vor was zu futtern kaufen kannst.

Hast du selbst einen beruflichen Neustart oder eine Neuorientierung umgesetzt? Hast du weitere Tipps, die du teilen möchtest?